T.A. Wilrode: Inselträume, Fluchtversuche. Abenteuer des geheimreisenden Grafen von Fliege und seines Bibliothekars. Roman

 T.A. Wilrode: Inselträume, Fluchtversuche. Abenteuer des geheimreisenden Grafen von Fliege und seines Bibliothekars. Roman

"Es gibt noch einiges zu tun, glaubt mir.

Lasst uns darüber ganz konkret reden.

Suchen wir uns eine neue Insel“

In geheimer Eil-Botschaft legt „Fliege“ seinem alter ego und Reisegefährten, dem Bibliothekar Gottfried, nahe, die ihm hiermit zugesandten Aufzeichnungen über ihre gemeinsamen Abenteuer unbedingt zu lesen. Es geht dabei auch um die Frage, ob die erlebten Umstände nur ein Vorspiel waren  für das, was sich inzwischen  auf der Welt zusammengebraut hat.

Andererseits soll er die Erinnerung auch genießen, die Erinnerung an  die Freiheit von damals, und an das, was trotz aller Widerwärtigkeiten in dieser Zeit noch möglich war.

Gottfried folgt der Empfehlung und macht sich daran, die Geschichte der beiden noch einmal  in der Lektüre  nachzuerleben:

Die Hauptfiguren der Geschichte „Fliege“ und Gottfried, sind wirklich ein denkbar  ungleiches Paar: Gottfried als  Mensch und Fliege tatsächlich als Insekt. Aber die Schicksale der beiden  scheinen  schon seit langem parallel zu verlaufen, ohne dass Gottfried sich dessen besonders bewusst gewesen wäre. „Fliege“ taucht nur immer wieder als koboldartiges  Moment in allen möglichen Situationen auf, begeistert ihn mit seinen Flugkünsten, ärgert ihn mit seiner Aufdringlichkeit, neckt ihn  und treibt mit ihm sein Spiel, und Gottfried gelingt es selten, ihn einzufangen und nach draußen zu befördern.

Kritisch wird ihre Beziehung als Gottfried, obwohl Schopenhauer-Adept und buddhistisch orientierter Tierliebhaber, das aufsässige Insekt aus Versehen erschlägt. Schade, aber: Aus und zu spät.

Gottfried wird allerdings durch seine unbedachte Handlung die koboldhaft Parallelexistenz keineswegs los. “Fliege“ inkarniert sich immer wieder und erweist sich um so deutlicher als permanenter Begleiter und Kommentator von Gottfrieds wechselhaftem Leben.

Und wechselhaft gestaltet sich  sein Leben tatsächlich, gerade weil er eine phantasievolle Doppelexistenz in der Welt der Bücher und Erzählungen führt. Schon als Gymnasiast  bricht Gottfried, nach fieberhafter Lektüre berühmter Seefahrtsromane (vom Herman Melville oder Robert Stevenson oder Jack London) tatsächlich aus seinem wohlbehüteten bürgerlichen Leben aus  und wird gegen allen Widerspruch von Lehrern und Eltern ein „Seemann“ (als einfacher Decksjunge, auf einem Trampdampfer. Fliege begleitet ihn unbemerkt).

Eine Zwischenlandung auf den kanarischen Inseln, wo er zunächst  verbleibt, ermöglicht neue Erfahrung mit dem insulären Dasein. Enttäuschender Weise tendiert auch hier  vieles zum normalen Alltag, zum Karrierezwang, zur  konventionellen Heirat  usw.

Aber es gibt auch eine neue Anregung: Durch eine Zufallsbekanntschaft mit einer attraktiven kubanischen Ärztin, die ihn von einem Erstickungsanfall rettet,  ergibt sich für Gottfried die Möglichkeit einer Reise nach Cuba zu unternehmen.

Er besucht, inzwischen etwas arriviert im Bibliothekwesen und Medienbetrieb,  als Gast die dortigen Filmakademie (wiederum in heimlicher  Begleitung  von „Fliege).

Er  lernt dort (immer in Begleitung von „Fliege“) nicht nur den gekrönten  Schriftsteller Lateinamerikas, Gabriel Garcia Márquez, kennen, sondern erlebt auch verschiedene Staatsakte in Cuba und öffentliche Auftritte von Fidel Castro.

Vor allem aber  tauchen beide in den Alltag der Akademie ein und nehmen Teil an den Auseinandersetzungen unter den Kollegen,  und schließlich  bleiben unvergesslich auch die  traumhaften persönlichen Begegnungen mit lebenslustigen Kubanerinnen in La Habana.

Der Abschied fällt schwer und hinterlässt bei aller Kritik den Wunsch, das Modell der Unabhängigkeit von den Kartellen trotz aller Embargos und sonstiger Schwierigkeiten weiter zu entwickeln mit der Hoffnung, dass das Land nicht mit allen Mitteln der Sanktionspolitik torpediert und an einer eigenständigen Entwicklung gehindert wird.

Zurückgekehrt nach Europa, findet Gottfried auf einer Halbinsel in der Nähe  der Nordseeküste einen Gebäudekomplex für seine bibliophilen Forschungsvorhaben.

Er etabliert sich dementsprechend dort, und ein neuer Lebensabschnitt beginnt.

Die Begegnung mit den früheren Bekannten und neuen Freunden, die Beziehung zum nahgelegenen Beginenkloster und seiner klugen Äbtissin sind anregend, aber die Zeit bleibt überschattet vom waffenstrotzenden Gerangel der Großmächte  und ihren Aneignungskampagnen in  der dritten Welt.

Auch in Europa gibt es immer mehr Anzeichen bevorstehender kriegerischer Auseinandersetzungen.

Das alles wird vom Klub seiner Freunde  heftig diskutiert, auch das Verschweigen aller kritischen Nachrichten in den offiziellen Medien.

Der Kreis der Freunde macht sich zur Aufgabe unterdrückte Ereignisse und entsprechende Informationen  ans Licht zu bringen, eine Sisyphos - Arbeit mit kargem Erfolg.

Schließlich wird für sie die Frage immer dringlicher, welche politischen Möglichkeiten man überhaupt noch hat:

Soll man trotz allen Rückschlägen zäh und unermüdlich die Hoffnung auf eine gewaltfreie Welt festhalten  und um ein kriegsfreies Europa kämpfen  und in Lateinamerika und allgemein  in der dritten Welt für die Rechte der Einheimischen gegen die internationalen Raubzüge?

 Oder ist angesichts der Weltkonstellation eigentlich alles sinnlos und  umsonst?

Also: Sollte man sich irgendwie  den Kontroversen der Weltmächte einfach entziehen?

Aber wie? Abtauchen,? Aber wohin?  Eine  neue Insel suchen, aber welche?

 Oder aber,  und zwar für immer, eine neue, endlich  „ultimative Insel suchen  (“ihr wisst schon, welche“)  mit Hilfe  eines guten Opiats?

In diesen Phasen der drohenden Resignation macht sich elementarer Widerstandswille Luft, und  setzt wieder ungebändigte Lebenskräfte frei.  

Und hier ist „Fliege“ in seinem Element. Er  lenkt den Blick auf die Kapriolen der Tierwelt  und ihr Beispiel für spontanes Handeln und den Genuss des Augenblicks und ein zähes immer wieder Aufstehen und Leben-Wollen.

In diesem Sinne zitiert er den modernen Heiligen und Philosophen der Tierwelt:

„Eben diese den Thieren eigenes, gänzliche Aufgehen in der Gegenwart trägt viel zu der Freude bei, die wir an unseren Hausthieren  haben, sie  sind die personifizierte Gegenwart und machen uns gewissermaßen den Wert jeder unbeschwerten und ungetrübten Stunde fühlbar ...“ (Arthur Schopenhauer)

Die Freunde sind erstaunt über die Belesenheit „Flieges“ - aber immerhin ist er ja der vielfach Wiedergeborene und Überlebende, der Abkömmling der tausendjährigen Dynastie der Grafen von Fliege. Sie geben ihm Recht und fühlen sich wieder von neuem im Leben bestärkt.

Also: Auf zu neuen Taten.

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